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TVnewsweb-Pleite Wer zu früh kommt...

...den bestraft das Leben. Ken Heron und Peter Henderson schienen das ultimative E-Business gefunden zu haben. Dass ihr Konzept ein echter Killer ist, daran zweifelt bis heute niemand. Ihnen fehlte nur eines: Kunden mit Breitbandkabeln.

Es gab einmal E-Commerce-Unternehmungen, die basierten darauf, alles zu verschenken, populär zu werden und sich an der Börse entlohnen zu lassen. Es gab E-Commerce-Unternehmen, die blind und fest darauf vertrauten, dass mit der ökonomischen Weltrevolution auch der Rubel ins Rollen käme - irgendwann. Und es gab Unternehmen, die machten von Anfang an alles richtig.

1999 steckten Peter Henderson und Ken Heron, gestandene Medienmacher, ihre Köpfe zusammen und überlegten, was man mit diesem Boom-Medium Internet denn Lukratives anfangen könnte. Die Idee zu TVnewsweb wurde schnell geboren und fand fast noch schneller spendierfreudige Risiko-Kaptalgeber: Warum, überlegten Henderson und Heron, sollte man nicht einen B2B-Dienst für die Medien in aller Welt aufziehen?

Einer, über den Kameraleute und kleinere Sender ihre "Ware" direkt an andere verkaufen sollten. TVnewsweb wollte "Content-Broker" im besten Sinne sein, bei dem jeder seinen Vorteil haben würde:

  • Die kleine Fernsehstation vor Ort, die als Erste mit ihren Teams am Ort der Nachricht aufläuft, sollte direkt an "die Großen" verkaufen können. Der Vorteil? Während sie normalerweise von den Nachrichtenagenturen pauschal und oft mit wenigen hundert Dollar honoriert wurde, sollte sie bei TVnewsweb direkt am Verkaufserfolg beteiligt werden;
  • Die freien Journalisten und Kameramänner, für die letztlich das Gleiche gilt: Ein Newsclip, der mit Reuters oder AP um die Welt geht, bringt dem Frontberichterstatter im ungünstigsten Fall nur ein Taschengeld;
  • Fernsehstationen in aller Welt, völlig abhängig den großen Nachrichtenagenturen und wenigen großen Fernsehsendern, die die Welt mit einem Korrespondentennetz überzogen haben und die Preise für ihre Dienste mehr oder minder frei diktieren. Jetzt sollte gelten: Bezahlt wird nur, was gesendet wird;
  • Die TVnewsweb-Macher, die als "Content-Broker" an all diesen Geldflüssen mitverdienen wollten.

Die Branche jubelte - abgesehen von den Vertretern der großen Nachrichtenagenturen. Binnen weniger Monate fand TVnewsweb angeblich stolze 65 Kunden. Bekannt sind diese nicht - bis auf einige wenige, und die sind von einer Qualität, mit der man gern hausieren geht. Der größte Brocken unter den Kunden dürfte die BBC gewesen sein, die ihre Fernsehnachrichten über TVnewsweb zum Kauf anbot - das ist nicht gerade Amateur-Niveau.

Tatsächlich kaufte die BBC fast zwei Jahre Fernsehnachrichten-Beiträge von TVnewsweb. Und damit nicht genug: Im Juni 2000 schlossen der News-Riese und das kleine Internet-Start-up einen Vertrag, der die Zukunft von TVnewsweb zu sichern schien: Für die Dauer von zunächst zwei Jahren wollte die BBC komplette Nachrichtenpakete über die Website des kleinen Unternehmens vertreiben. Im Frühjahr 2001 erhielt TVnewsweb darüber hinaus den Zuschlag für die Vermarktung der BBC-Archive.

Kein Wunder also, dass etwa die Produktionsleitung des ZDF auf ihrer Webseite nur auf drei Websites verlinkt, die sie selbst als "wichtige Internetseiten" bezeichnet: ZDF.de, ZDFMSNBC.de - und TVnewsweb.

Der Onlinehandel war gut durchdacht. Über die Website des Unternehmens konnten Kunden in aktuelle Filme hineinschnuppern (Real-Videos in zwei Qualitäten) und direkt kaufen. Hinter dem Kauf-Link verbirgt sich noch jeweils eine Datei mit Filmdaten in ausstrahlungsfähiger Qualität.

Und genau hier begannen für TVnewsweb die Probleme

Denn was da abgerufen werden sollte, das waren ganz mächtig dicke Dinger. Nur wenige TV-Stationen in aller Welt verfügen bisher über die Bandbreiten, die nötig sind, solche Datenpakete schnell genug aus dem Web zu ziehen.

Nachrichten, sagen Journalisten, riechen, wenn sie alt werden. Sie schimmeln, verderben schneller als jede andere Ware. "Nichts", lautet ein altes Journalisten-Wort, "ist älter als die Zeitung von gestern". In der Welt der konkurrierenden Kommerz-Sender ist keine Nachricht so alt wie die, die von der Konkurrenz vor zwei Minuten gesendet wurde.

Speed ist alles

Ja, TVnewsweb machte Schlagzeilen. Als Simbabwe TV die ersten Bilder des ermordeten kongolesischen Präsidenten Laurent Kabila einfing, da fanden diese ihre erste Verbreitung über die Website von TVnewsweb: 15 Minuten, nachdem sie geschnitten wurden. Simbabwe TV verdiente an dem Newsclip fast 40.000 Mark. Ein Verkauf an die großen Nachrichtenagenturen hätte wenige hundert Dollar gebracht. Das sprach sich rum.

Ja, TVnewsweb erhielt im Juni 2000 den Preis für das beste journalistische Online-Angebot im Rahmen des European Jounalism Awards.

Ja, immer mehr Kunden zeigten sich interessiert am Angebot des kleinen Rebellen, der die großen Nachrichtenagenturen zu entmachten drohte. Am Ende stolperte TVnewsweb, anders als so viele andere E-Commerce-Unternehmen, nicht über einen Konzeptfehler, sondern über Kabel.

Denn Kunden, die nicht über die notwendigen Breitband-Anbindungen verfügten, brauchten mitunter Stunden, die Filme über das Netz zu beziehen. Die heiße Nachricht verkühlte im Draht, schimmelte und begann zu stinken, bevor sie ganz angekommen war. Die einzige Alternative: TV-Satellitenanbindungen - und die hätten TVnewsweb teurer als die Agenturen gemacht. Das Konzept scheiterte, weil zu viele der Kunden noch zu schlecht ausgestatttet waren.

In dieser Woche erhalten die Mitarbeiter von TVnewsweb ihre Kündigungsschreiben. Wie lang die Firma ihren Service noch aufrecht erhält, ist nicht klar.

Am Ende waren die Banken nicht mehr bereit, weitere Kredite auszuschütten, die unter anderem nötig geworden waren, weil TVnewsweb erstklassiges Personal von den Agenturen abgeworben hatte. Kaum ein Analyst, kaum ein Banker zweifelt daran, dass TVnewsweb ein echtes Erfolgskonzept ist. Das brutale Urteil lautete am Ende vielmehr: Diese Idee ist ihrer Zeit voraus.

Erst wenn genügend Breitbandanbindungen verbreitet sind, hätte so ein Konzept Erfolgsaussichten. Damit geht es TVwebnews wie einigen anderen der besten Ideen, die die Internet-Wirtschaft in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Reife Ideen für ein Medium, dass noch in den Kinderschuhen steckt: Auf so etwas kann man kaum stehen.

Im Web gilt halt: Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben.